Storyboardtheorien und Dramaturgiemodelle
Auf welcher Weise
können dramaturgische Modelle helfen, eine gute Geschichte zu
entwickeln und diese auch auf gelungene Weise zu erzählen? Um die
Frage zu beantworten, ist es hilfreich, sich die
Entstehungsgeschichte dieser Modelle vor Augen zu führen. Die
meisten Storyboardchtheorien leiten sich von Paradigmen dramatischen
Erzählens – also dramaturgischen Modellen für Theaterstücke –
ab, als deren Übervater Aristoteles mit der von ihm verfassten „
Poetik“ gilt. Was haben erfolgreiche Geschichten gemeinsam? Gibt es
etwas, was diese Geschichten verbindet? Gibt es etwas, das sie, so
unterschiedlich sie auch sein mögen, teilen? Und so wie wir Menschen
unterschiedlich in Wesen und Aussehen sind, jedoch alle ein Skelett
haben, dessen einzelne Knochen, Sehnen und Knorpel an den gleichen
Stellen sitzen, so gibt es bei dramatisch erzählten Geschichten sehr
viele Ähnlichkeiten, was ihren Aufbau angeht. Dieses „Skelett“
bildet die Grundlage aller dramaturgischen Modelle. Es ist die
Struktur einer Geschichte.
Aber so, wie ein Skelett lediglich den menschlichen Körper stützt und nicht der Mensch selbst ist, so ist auch die Struktur einer Geschichte nicht die Geschichte selbst, sondern lediglich ein Ordnungsprinzip, das die Ereignisse der Geschichte in einen kausalen und zeitlichen Zusammenhang stellt.
Versucht man, Figuren innerhalb eines dramaturgischen Modells agieren zu lassen, so folgt man damit scheinbar einem zuverlässigen „roten Faden“, der helfen soll, sich im Dschungel der noch unfertigen Geschichte zurechtzufinden. Nur um sehr schnell festzustellen, dass sich auf diese Weise zweidimensionale Figuren in einer formelhaften Geschichte bewegen und Entscheidungen treffen, die nicht ihrer eigenen Logik folgen, sondern vielmehr der des Autors, der versucht, eine funktionierende Geschichte zusammenzuschustern.
Dramaturgische Modelle eignen sich sehr gut dazu herauszufinden, wo es in einer Geschichte hakt und warum – damit man sie anschließend überarbeiten kann. Als Anleitung zum Schreiben taugen sie nicht. Deshalb ist es am besten, sie während des Schreibprozesses zu vergessen. Wenn es dann darum geht, das Geschriebene zu verbessern, leisten sie gute Dienste.
Was sonst?
Wenn dramaturgische
Modelle sich nicht als Rezept eignen, welche Möglichkeiten gibt es
dann, Ideen und Figuren zu finden und sich einer Geschichte
anzunähern?
Augen & Ohren
auf
„Schau
genau hin. Das ist der Weg, dein Auge zu schulen.
Schau
hin, sei neugierig, höre zu, belausche.
Stirb
nicht unwissend. Du bist nicht lange hier.“
Walker Evans
Vieles was um uns
herum geschieht, ist für uns unverständlich, widersprüchlich oder
schlicht „zu viel“. Um unseren Alltag besser zu bewältigen,
lernen wir von klein auf, unsere Wahrnehmungen zu filtern. Wir sehen
und hören Dinge, mit denen wir rechnen oder auf die wir uns
vorbereitet haben. Ereignisse, die unsere Weltanschauung
durcheinanderbringen oder ein Umdenken erfordern, oder die wir an
einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit nicht erwarten,
blenden wir in der Regel aus.
Um als Autor auf einen unerschöpflichen kreativen Fundus zurückgreifen zu können, müssen wir uns dieses, im Alltagsleben nützliche, aber bei unserer Arbeit als Autoren hinderliche Sozialverhalten abgewöhnen. Wir müssen erneut lernen, genau hinzuschauen und zuzuhören um das, was um uns herum geschieht, unvoreingenommen in uns aufzunehmen und damit die Bandbreite menschlichen Denkens, Handelns und Fühlens uneingeschränkt zu erfassen.
Denn egal, wie exotisch die Orte unserer Geschichten und wie ungewöhnlich die Ereignisse, die unseren Charakteren zustoßen, auch sein mögen, letztlich basieren sie doch auf dem, was uns als möglich und realistisch erscheint – dem Spektrum menschlicher Erfahrungen, dem Leben selbst. Um als Autor aus einem Fundus menschlichen Verhaltens schöpfen zu können, ist es nützlich, die verlorengegangene Neugierde wiederzuentdecken.
Mit allen fünf
Sinnen
Orte vermitteln,
ähnlich wie Musik, auf sehr starke und unmittelbare Weise
Stimmungen. Wenn wir versuchen, einen Ort zu beschreiben, beschränken
wir uns aber meist auf faktische und visuelle Informationen: Wie groß
sind die Räumlichkeiten? Wann wurde das Gebäude erbaut? Wie wird es
genutzt und auf welche Weise hat sich die Nutzung im Laufe der Zeit
verändert (z.B. ein Hotel in einem ehemaligen Kloster).
Wenn wir stattdessen einen uns unbekannten Ort aufsuchen, stellen wir sehr schnell fest, dass das, was für uns diesen Ort ausmacht, sich an vielen einzelnen Dingen festmacht, die wir dort wahrnehmen und die weit über visuelle oder faktische Angaben hinausgehen. Um dem Leser des Storyboards einen möglichst plastischen Eindruck des Ortes zu vermitteln, der die Atmosphäre, die dort herrscht, treffend wiedergibt, ist es hilfreich, alle Sinne miteinzubeziehen, statt sich auf Fakten und rein visuelle Informationen zu beschränken.
Fühlen
Wenn wir eine
Geschichte erzählen, stellen wir uns bestimmte Ereignisse vor und
leiten daraus die möglichen Konsequenzen, bezogen auf die Figuren
und die äußere Handlung, ab . Mindestens genauso wichtig wie die
äußeren Ereignisse sind innere Vorgänge und emotionale
Konsequenzen. Wie fühlt es sich an, wenn einem etwas Konkretes
widerfährt oder man sich in bestimmten Lebensumständen
wiederfindet? Im Alltag blenden wir diese Überlegungen und Emotionen
aus; sie gelten als subjektiv und damit als unzuverlässig und wenig
allgemeingültig. Für das Schreiben sind sie unersetzlich. Sie geben
uns wesentliche Hinweise für die Geschichte und sind häufig ein
Schlüssel für unsere Figuren.
„Schreibe über das, was du kennst.“
Autoren, die sich in ihrer Arbeit auf eigene Erfahrungen stützen, haben einen großen Vorteil: Sie wissen, wovon sie sprechen. Ein erheblicher Teil ihrer Recherche begründet sich in der aktiven und wahrhaftigen Erinnerung dessen, was sie selbst erlebt haben. Sie kennen die widersprüchliche oder scheinbar unlogische Gefühlswelt ihrer Figuren.
Denn Emotionen zeichnen sich dadurch aus, das sie manchmal (scheinbar) im Widerspruch zu einer äußeren, objektiven Realität stehen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn wir angesichts eines langersehnten Ereignisses aus scheinbar unerklärlichen Gründen Angst, Unbehagen oder Traurigkeit empfinden, statt uns, wie erwartet, zu freuen.
Ein weiteres Merkmal von Gefühlen ist, dass wir sie nicht kontrollieren können. Kein Mensch kann sich vornehmen, was er unter bestimmten Bedingungen empfinden wird. Und häufig ist das, was wir tatsächlich in einer bestimmten Situation empfinden, völlig verschieden von dem, was wir uns für diesen Fall vorgestellt haben.
Möglichst alles über die Figuren, ihre Welt, die Ausgangssituation, bzw. den Grundkonflikt zu wissen, schafft darüber hinaus Selbstvertrauen und gibt die Sicherheit, dass man den Figuren und ihrer Geschichte gerecht wird. Vorsicht ist geboten, wo die Suche nach Informationen nicht enden will. Wenn Sie auch nach gründlicher Recherche nicht damit aufhören können, Bücher zu wälzen, Filme zu schauen und das Internet nach Erfahrungsberichten durchforsteten, sind Sie womöglich Ihrem inneren Zensor auf dem Leim gegangen, der Sie auf diese Weise erfolgreich davon abhält, Ihre Ideen niederzuschreiben. Bei nicht enden-wollen-den Recherchen ist auch deshalb Vorsicht angesagt, da man riskiert, sich in so kleinteiligen Details zu verlieren, dass einem die Geschichte, die man ursprünglich einmal erzählen wollten, schlicht abhanden kommt.
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Erinnern
„Schreibe über das, was du kennst.“
Mark Twain
Autoren, die sich in ihrer Arbeit auf eigene Erfahrungen stützen, haben einen großen Vorteil: Sie wissen, wovon sie sprechen. Ein erheblicher Teil ihrer Recherche begründet sich in der aktiven und wahrhaftigen Erinnerung dessen, was sie selbst erlebt haben. Sie kennen die widersprüchliche oder scheinbar unlogische Gefühlswelt ihrer Figuren.
Denn Emotionen zeichnen sich dadurch aus, das sie manchmal (scheinbar) im Widerspruch zu einer äußeren, objektiven Realität stehen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn wir angesichts eines langersehnten Ereignisses aus scheinbar unerklärlichen Gründen Angst, Unbehagen oder Traurigkeit empfinden, statt uns, wie erwartet, zu freuen.
Ein weiteres Merkmal von Gefühlen ist, dass wir sie nicht kontrollieren können. Kein Mensch kann sich vornehmen, was er unter bestimmten Bedingungen empfinden wird. Und häufig ist das, was wir tatsächlich in einer bestimmten Situation empfinden, völlig verschieden von dem, was wir uns für diesen Fall vorgestellt haben.
Aber wie können
sich Autoren in ihrer Arbeit auf eigene Erfahrungen stützen, ohne
sich bei ihren Geschichten auf autobiografische Ereignisse zu
beschränken? Eine Möglichkeit besteht darin, einen „Zipfel zu
erhaschen“, indem man eigene Erfahrungen, die auf emotionaler Ebene
vergleichbar sind, so unverfälscht wie möglich erinnert und sie
dann auf die Geschichte und ihre Figuren überträgt.
Besonders
anschaulich lässt sich diese Methode erklären, wenn wir sie auf
Geschichten anwenden, deren Umstände oder Erfahrungen die der
meisten Menschen sprengen. Erfahrungen, die wir nie gemacht haben und
voraussichtlich auch nie machen werden, können wir nicht
autobiografisch erzählen und müssen gezwungenermaßen auf eine
Technik zurückgreifen, die es uns ermöglicht, uns dem Geschehen und
den damit verbundenen Emotionen anzunähern. Die wenigsten unter uns
haben zum Beispiel die Erfahrung gemacht, wie es ist, an Leib und
Leben bedroht zu sein. Das genau aber ist die Grunderfahrung einer
Hauptfigur in einem Thriller. Woher kann man als Autor wissen, was
die Figur in den einzelnen Momenten empfindet und wie sie
entscheidet, wenn sie um ihr Leben fürchten muss? Wie kann man die
Figur und ihre Geschichte schreiben, wenn man selbst diese Erfahrung
noch nie gemacht hat? Eine gute Möglichkeit besteht darin, sich an
eine Situation zu erinnern, die im Nachhinein betrachtet
möglicherweise völlig harmlos war. Aber die sich, während sie uns
widerfahren ist – und wenn auch nur für einen Moment – so
angefühlt hat, als wären wir an Leib und Leben bedroht gewesen.
Sobald wir uns
aktiv daran erinnern und uns unsere Gedanken, Gefühle und
unmittelbaren Impulse in diesem Augenblick vergegenwärtigen,
erhalten wir einen Zugang zu unserem Protagonisten und zu der
Geschichte, die wir erzählen möchten. Wesentlich ist dabei, dass
wir diese Erinnerung nicht nur intellektuell, das heißt
ausschließlich „mit dem Kopf“ vollziehen. Nur wenn wir ein
Ereignis oder eine Situation mit allen unseren Sinnen erinnern und
wahrnehmen, können wir die widersprüchlichen oder unerwarteten
Gefühle entdecken, die diese in uns auslösen.
Es geht darum,
sie in unserer Erinnerung zu durchleben, um uns durch unsere eigenen
Emotionen, Gedanken und Impulse denen unserer Figur anzunähern. Wir
stellen auf der Ebene einer subjektiven, emotionalen Realität eine
Übereinstimmung zwischen unserer erlebten Situation und der unseres
fiktiven Protagonisten her. Diese Technik erleichtert es ungemein,
wahrhaftige Charaktere zu erschaffen, deren Reaktionen und Handlungen
für die Leser glaubwürdig und nachvollziehbar sind.
Recherche
Während das aktive
Erinnern subjektiv ähnlicher Situationen, samt der damit verbundenen
Emotionen, eine Form der inneren Recherche darstellt, garantiert eine
äußere Recherche, dass Sie als Autor – auch was die objektiven
Fakten angeht – wissen, wovon Sie sprechen.
Möglichst alles über die Figuren, ihre Welt, die Ausgangssituation, bzw. den Grundkonflikt zu wissen, schafft darüber hinaus Selbstvertrauen und gibt die Sicherheit, dass man den Figuren und ihrer Geschichte gerecht wird. Vorsicht ist geboten, wo die Suche nach Informationen nicht enden will. Wenn Sie auch nach gründlicher Recherche nicht damit aufhören können, Bücher zu wälzen, Filme zu schauen und das Internet nach Erfahrungsberichten durchforsteten, sind Sie womöglich Ihrem inneren Zensor auf dem Leim gegangen, der Sie auf diese Weise erfolgreich davon abhält, Ihre Ideen niederzuschreiben. Bei nicht enden-wollen-den Recherchen ist auch deshalb Vorsicht angesagt, da man riskiert, sich in so kleinteiligen Details zu verlieren, dass einem die Geschichte, die man ursprünglich einmal erzählen wollten, schlicht abhanden kommt.
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